THC Grenzwert Straßenverkehr

15 min
15.11.2023 14:15:00

Wer mit THC im Blut erwischt wird, muss sich bislang auf strenge Strafen gefasst machen. Nun hat eine Expertenarbeitsgruppe einen neuen Grenzwert für Deutschland vorgeschlagen. Wir fassen die aktuelle Diskussion zum Thema zusammen, haben uns in anderen Ländern und Regionen umgeschaut und Studien analysiert.

Auf einen Blick

  • Ähnlich wie bei Alkohol wird auch für Cannabis in der Regel ein Bluttest vorgenommen. Der soll den Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) nachweisen. Dieser Wirkstoff ist für die berauschende Wirkung („High“) von Cannabis verantwortlich.
  • Als „Vorscreening“ hat eine Expertenarbeitsgruppe im Bundesverkehrsministerium Speicheltests mit hohe Empfindlichkeit vorgeschlagen. Sie sollen einen Nachweis des „aktuellen Konsums“ liefern.
  • Die Maßeinheit für Bluttests ist Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum (ng/ml)
  • Bisher gab es in Deutschland keinen offiziellen Grenzwert. Mit anderen Worten: Wird THC im Blut nachgewiesen, ist dies an sich bereits ein Verstoß gegen Paragraph 24a, Absatz 2, des Straßenverkehrsgesetzes.
  • In der Praxis hat sich ein Wert von 1,0 ng/ml als Limit eingebürgert, der so aber nicht im Gesetz steht.
  • Es drohen Strafen bis zu 1.500 Euro, Punkte in Flensburg, Führerscheinentzug, sowie eine verpflichtende Teilnahme an der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), die in der Regel nur etwa die Hälfte der Probanden erfolgreich besteht.
  • Anders als bei Alkohol lässt der THC-Messwert allerdings keinen zuverlässigen Rückschluss darauf zu, wie stark eine Person gerade durch THC beeinflusst und beeinträchtigt ist. Das haben diverse Studien gezeigt.
  • Darüber hinaus gibt es für Cannabis keine grundlegenden Empfehlungen, ab wann man wieder fahrtüchtig ist. Die Wirkung von THC hängt dafür von zu vielen Faktoren ab.
  • Die Expertenarbeitsgruppe im Bundesverkehrsministerium hat nun trotz dieser Schwierigkeiten wie vereinbart einen neuen Grenzwert vorgeschlagen: 3,5 ng/ml.
  • Diese Arbeitsgruppe empfiehlt außerdem eine Null-Promille-Grenze für Cannabisnutzer: Wer also THC im Blut hat, darf nicht auch noch unter Alkoholeinfluss stehen. Viele Fachleute hatten vor der Kombination von Cannabis und Alkohol im Straßenverkehr gewarnt.
Berlin, Germany viewed from above the Spree River.

Vorschlag für neuen Grenzwert

Zum 1. April wird der private Besitz und Anbau von Cannabis innerhalb bestimmter Grenzen in Deutschland legal. Das hat auch Auswirkungen auf den Straßenverkehr. Hier gilt nach den Worten des Gesetzes bislang: Bei wem THC im Blut nachgewiesen wird, ist dran. Bußgelder und Fahrverbote drohen sofort. Es gibt einen inoffiziellen Grenzwert von 1,0 ng/ml für THC im Blut. Aber der basiert nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auf der Messgenauigkeit von Labors.

Eine Expertenarbeitsgruppe im Bundesverkehrsministerium hatte bis zum 31. März Zeit, einen neuen Grenzwert vorzuschlagen. Am 28. März haben sie diesen vorgestellt:

  • Sie schlagen 3,5 ng/ml vor. Dieser Wert ist grob vergleichbar mit Grenzwerten in Kanada und Colorado. Mehr dazu weiter unten.
  • Die Arbeitsgruppe erklärt, dass bei diesem Wert eine „verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht fernliegend“ sei. Zugleich sei sie aber deutlich unter der Schwelle für ein „allgemeines Unfallrisiko“. Der Wert sei vergleichbar mit einer 0,2 Promillegrenze für Alkohol.
  • Für Cannabiskonsumenten wird ein absolutes Alkoholverbot am Steuer empfohlen.
  • Speicheltests sollen demnach zum Einsatz kommen, um bei einer Verkehrskontrolle einen ersten Nachweis für Cannabiskonsum zu haben. Hierbei sollten aber auch Erfahrungen aus dem Ausland herangezogen werden, teilt die Arbeitsgruppe mit. Wir stellen weiter unten eine Studie vor, die sich mit der Aussagekraft von Speicheltests beschäftigt hat.

Wichtig: Dieser Grenzwert ist bislang nur eine Empfehlung und noch nicht offiziell verabschiedet. 

Das sagt das Gesetz heute

„Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.“

Und das steht in der im Gesetz erwähnten Anlage zu § 24a:

 

Berauschendes Mittel

Substanzen

Cannabis

Tetrahydrocannabinol (THC)

Heroin

Morphin

Morphin

Morphin

Cocain

Cocain

Cocain

Benzoylecgonin

Amfetamin

Amfetamin

Designer-Amfetamin

Methylendioxyamfetamin (MDA)

Designer-Amfetamin

Methylendioxyethylamfetamin (MDE)

Designer-Amfetamin

Methylendioxymetamfetamin (MDMA)

Metamfetamin

Metamfetamin

 

Deshalb gilt: Wird THC im Blut gefunden, liegt ein Verstoß gegen diesen Paragraphen vor. Ein Grenzwert wird nicht genannt.

Bußgeldkatalog bei Verstoß gegen Paragraph 24a, Absatz 2:

 

Bußgeld

Punkte

Fahrverbot

Beim 1. Verstoß

500 Euro

2

1 Monat

Beim 2. Verstoß

1.000 Euro

2

3 Monate

Beim 3. Verstoß

1.500 Euro

2

3 Monate

Bei Gefährdung des Verkehrs

 

3

Entzug Fahrerlaubnis, Freiheitsstrafe oder Geldstrafe

 

Allein Besitz von Cannabis kann den Führerschein gefährden

Aber selbst wer nie „bekifft“ am Steuer erwischt wird, ist deshalb zum heutigen Stand der Dinge nicht sicher. So werde jedes Strafverfahren wegen Cannabisbesitz auch an die Führerscheinstellen gemeldet, erklärte Georg Wurth, Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes (DHV), während einer Anhörung des Bundestages. Kommen mehrere solche Meldungen zusammen, werde das häufig als Hinweis auf regelmäßigen Konsum gewertet, was zur Anordnung einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) und damit zu hohen Kosten und sogar zum Führerscheinentzug führen könne.

Diese deutsche Vorgehensweise sei im internationalen Vergleich eine „ausgesprochen ungewöhnliche Praxis“, erklärte in derselben Anhörung Dr. Bernd Werse vom Schildower Kreis, einem Expertennetzwerk, das sich für eine alternative Drogenpolitik einsetzt.

„Selbstverständlich soll niemand im Rausch Auto fahren dürfen“, sagt Swantje Michaelsen, Berichterstatterin im Verkehrsausschuss für das Thema Verkehrssicherheit von Bündnis 90/Die Grünen. „Mit der aktuellen Regelung wird aber Cannabis-Konsum auch dann mit Führerscheinentzug und kostenschweren Medizinisch-Psychologischen Untersuchungen (MPU) bestraft, wenn keinerlei Wirkung vorliegt oder Menschen lediglich Cannabis bei sich führen.“

Das Bundesverwaltungsgerichts hatte dazu passend bereits im April 2019 erklärt:

„Bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis, der erstmals unter einer seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, darf die Fahrerlaubnisbehörde in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen.“

Trotzdem müssen Cannabiskonsumenten heute in Deutschland um ihren Führerschein bangen, selbst wenn sie sich im Straßenverkehr vollkommen ordnungsgemäß verhalten.

Die MPU ist ein großes Risiko

Die nun schon mehrfach genannte Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) ist dabei ein großes Risiko für die Betroffenen. Sie müssen innerhalb von drei Monaten nachweisen, dass sie keine Dauerkonsumenten sind. Wer aber regelmäßig und vielleicht sogar mehrmals täglich Cannabis konsumiert, wird dessen Abbauprodukte auch bei vollkommener Abstinenz noch Monate später im Körper haben. Das ist dann beispielsweise im Rahmen eines Cannabis Tests im Urin weiter nachweisbar.

Diese Nachweise sind zudem nicht gerade billig. Eine MPU wegen Drogenkonsums kann leicht 750 Euro kosten.

Laut der Bundesanstalt für Straßenwesen haben im Jahr 2020 nur 55,7 Prozent die Prüfung im ersten Anlauf bestanden. 39,1 Prozent sind durchgefallen, 5,3 Prozent mussten zur Nachschulung. Größte Gefahr: Man kann als „dauerhaft ungeeignet“ eingschätzt werden, ein Auto im öffentlichen Straßenverkehr zu bewegen.

Auch Cannabis-Patienten betroffen

Die Abgabe von Cannabis für medizinische Zwecke ist bereits seit März 2017 in Deutschland legal. Aber auch Patienten dürfen sich nicht einfach so ans Steuer setzen. Sie müssen zunächst eine Untersuchung durch einen Facharzt absolvieren. Zudem muss die Führerscheinstelle über die Einnahme von medizinischem Cannabis informiert sein. Wer das unterlässt und bei einer Polizeikontrolle erwischt wird, ist dann genauso gefährdet wie der „Freizeitkiffer“.

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Was macht THC überhaupt so problematisch?

Tetrahydrocannabinol (THC) hat eine berauschende Wirkung. Es ist also für das Cannabis-„High“ verantwortlich. Wie und in welchem Maß es sich auswirkt, ist von Person zu Person unterschiedlich:

  • Allgemein verbreitet ist eine stark beruhigende oder sogar einschläfernde Wirkung.
  • Reaktionszeiten können sich teils deutlich verringern.
  • Kurzzeitgedächtnis und Konzentrationsfähigkeit können eingeschränkt sein.
  • Selbst Halluzinationen sind möglich.
  • Oder auch Gefühle von Euphorie oder Niedergeschlagenheit.

Diese Wirkungen halten bei einmaligem Konsum bis zu drei Stunden an. Hier kommt es allerdings nicht nur auf die Dosis, sondern auch auf die Darreichungsform an: Wer Cannabis raucht, erlebt in der Regel ein schnelles High, während das beim Konsum in Lebensmitteln (Edibles) deutlich später passiert und länger anhalten kann.

Letztlich gilt: Cannabis kann bei jedem Menschen unterschiedliche Auswirkungen haben. Es kann von folgenden Faktoren abhängen:

  • von der Art des Konsums – ob geraucht, inhaliert oder eingenommen
  • der Menge des konsumierten Cannabis
  • wie lange der Konsum her ist
  • der Häufigkeit des Konsums
  • der Cannabissorte und ihrem THC-Gehalt

Darüber hinaus lassen sich beeinträchtigende Wirkungen auch nach dem High nachweisen – für bis zu 24 Stunden.

Der ADAC etwa stellte klar, dass mit der Sicherheit im Straßenverkehr nicht „experimentiert“ werden dürfe. „Schließlich kann der Konsum von Cannabis die Wahrnehmung verändern und das Reaktionsvermögen negativ beeinflussen. Insbesondere Personen, die Cannabis ausprobieren wollen und sich vorab nicht mit seiner bewusstseinsverändernden Wirkung auseinandergesetzt haben, sind sich dieser Gefahr womöglich nicht ausreichend bewusst.

Aktuell keine offizielle Grenze

Wie oben dargestellt, gibt es im Gesetz selbst keinen Grenzwert für „berauschende Mittel“ wie THC. Anders ist die Situation mit Alkohol. Dort findet sich im selben Paragraphen 24a im Absatz 1 die folgende bekannte Regelung:

„Ordnungswidrig handelt, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalkoholkonzentration führt.“

Ein Grund für den fehlenden Grenzwert bei THC: Cannabis ist zum heutigen Stand der Dinge weiterhin illegal. Insofern wurde ein Grenzwert nicht als notwendig angesehen.

Das wird sich nun bekanntlich mit dem Cannabisgesetz (CanG) in Deutschland zum 1. April 2024 ändern. Dann ist etwa der Besitz von 25 Gramm Cannabis für Erwachsene straffrei und die Frage nach einem offiziellen Grenzwert wird akut.

Derzeit gilt ein Wert von 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum (ng/ml) als übliches, inoffizielles Limit. Sie wird etwa vom Bundestag als „Toleranzgrenze“ bezeichnet.

Wann kann ich mich wieder ans Steuer setzen?

Wer nur gelegentlich Cannabis konsumiere, habe schon kurz nach dem Konsum relativ geringe Konzentrationen im Blut, sagte Prof. Dr. Dr. Stefan Tönnes vom Universitätsklinikum Frankfurt am Mai gegenüber dem ZDF. Bei Konsumenten, die einmal oder mehrfach täglich konsumieren, reichere sich der Wirkstoff hingegen im Körper an.

Diese Anreicherung führe dazu, dass der Wirkstoff auch ohne Konsum noch immer im Blut nachweisbar ist. Zugleich liegt er aber nicht mehr unbedingt im Gehirn in großen Mengen vor, sondern stammt aus Depots im Körper. Das kann einige Stunden aber auch bis zu mehrere Tage nach dem eigentlichen Konsum der Fall sein.

Deswegen gebe es nicht unbedingt einen Zusammenhang zwischen den Befunden im Blut und  der Konzentration im Gehirn inklusive der Wirkungen. „Die Hauptwirkung von Cannabis findet in den ersten beiden Stunden statt“, sagte er im Gespräch mit dem NDR.

Als Faustregel nannte er: Wer einmal die Woche oder seltener konsumiert, bleibt beim Grenzwert von 1,0 ng/ml auf der sicheren Seite, wenn er sich für mindestens 8 bis 10 Stunden nicht ans Steuer setzt.

Chemist holding up beaker of green chemical in the laboratory

1,0 ng/ml basiert nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen

Dies Zahl von 1,0 ng/ml basiert dabei aber nicht etwa auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern aus früheren, technischen Limitierungen: Es war 1998 der geringste Wert, den die Labors sicher feststellen konnten. Darauf verweist etwa DAV-Verkehrsanwalt Andreas Krämer. „Damit geht aber eine Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit noch nicht einher“, erklärte er.

Interessensvertreter aus der Cannabisbranche sehen diesen Wert als deutlich zu niedrig an. Sie verweisen darauf, dass THC im Blut nicht dasselbe bedeutet wie Alkohol im Blut. Denn während Alkohol sehr schnell und linear abgebaut wird (mit etwa 0,1 bis 0,2 Promille pro Stunde), funktioniert das mit THC ganz anders. Hier sinken die Zahlen zunächst schnell, dann aber immer langsamer werdend. Gerade wer regelmäßig konsumiert, kann die entsprechenden Abbauprodukte noch für Wochen oder gar Monate im Blut haben – auch bei vollkommener Abstinenz.

„Der derzeitige THC-Grenzwert ist de facto ein Null-Grenzwert. Das ist nicht verhältnismäßig zu den Auswirkungen wie Führerscheinverlust oder einer MPU“, erklärte Jürgen Lenders, FDP. Der aktuelle Grenzwert ermögliche zwar den Nachweis des Cannabiskonsums, „aber nicht zwingend einen Rückschluss auf eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung“, erklärten noch im August 2022 renommierte Verkehrsrechtler

Dr. Markus Schäpe, Leiter der ADAC Rechtsabteilung, sagt: „Wir brauchen wie bei Alkohol einen unzweifelhaften Grenzwert, der sich ausschließlich an den Auswirkungen von Cannabis im Straßenverkehr orientiert.“ Laut ADAC solle ein Grenzwert gelten, „ab dem die Verkehrssicherheit erwartbar schlechter wird.“ Fahranfänger sollten hingegen strikter behandelt werden – genauso wie bei Alkohol. Hier empfiehlt der Autofahrerclub den Wert von 1,0 ng/ml beizubehalten.

„Wir als AG Verkehr der SPD-Bundestagsfraktion schlagen dafür – in Anlehnung an einen Vorschlag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) – einen Grenzwert von 3,0ng THC/ml Blutserum vor.“ – Mathias Stein, Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für Verkehrssicherheit und Verkehrsrecht.

DAV-Verkehrsanwalt Andreas Krämer sagte erklärte wiederum, dass erst ab einem THC-Wert von 2 bis 4 ng/ml überhaupt von einer Beeinträchtigung gesprochen werden könne. Ein vergleichbares Limit zur 0,5-Promille-Grenze bei Alkohol sieht er erst bei einer Größenordnung von 4 bis 16 ng/ml.

Die Bundestagsfraktion der Linken hatte einmal eine Anhebung auf 10 ng/ml gefordert, was zunächst hoch erschien. Allgemein scheint eher ein Wert von 3 ng/ml im Gespräch zu sein.

Wie eingangs dargestellt, steht nun 3,5 ng/ml als neuer Grenzwert zur Diskussion. Wer Cannabis konsumiert, darf dabei zugleich keinen Alkohol im Blut haben.

Wie es andere Länder und Regionen halten

Cannabis ist allerdings inzwischen in mehreren Ländern und Regionen der Welt vollständig legalisiert. Wie wurde es dort angegangen?

Kanada

In Kanada gibt es im ersten Schritt keine konkreten Empfehlungen. Auf der offiziellen Website heißt es:

„Es gibt keine Richtlinien für Autofahrer darüber, wie viel Cannabis konsumiert werden kann, bevor das Führen eines Fahrzeugs unsicher wird, oder wie lange ein Autofahrer warten sollte, bis er nach dem Konsum von Cannabis ein Fahrzeug führt.“

Das hat letztlich mit dem zu tun, was wir weiter oben beschrieben haben: Die Wirkung von THC hängt von zu vielen Faktoren ab, um allgemeine Richtlinien vorzugeben.

Letztlich setzen die Kanadier auf die Vernunft ihrer Bürger und auf ihre Polizei. Die darf im Zuge von Verkehrskontrollen Atem- oder Speichelproben fordern oder einen Nüchternheitstest („Standardized Field Sobriety Test “) durchführen, wenn sich eine Person nach ihrer Einschätzung auffällig verhält.

Kommt es dann zu einer Festnahme, kann eine Blutprobe angeordnet werden oder eine Bewertung durch einen Experten für Drogenerkennung („Drug Recognition Expert Evaluation“).

Kommt es zu einer Blutentnahme, gelten laut des kanadischen Justizministeriums zwei Grenzwerte:

  • Ein minderschwerer Verstoß liegt vor, wenn der THC-Gehalt zwischen 2 und unter 5 ng/ml liegt. Die Strafe beträgt dann nicht mehr als 1.000 Kanadische Dollar (rund 685 Euro). Dies ändert sich auch nicht, wenn man mehrmals erwischt wird.
  • Ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn 5 ng/ml THC oder mehr gefunden werden. Dann drohen mindestens 1.000 Kanadische Dollar Strafe beim ersten Mal. Beim zweiten Mal sind es bereits mindestens 30 Tage Gefängnis. Beim dritten Mal mindestens 120 Tage Gefängnis. Die Höchststrafe liegt hier jeweils bei 10 Jahren Gefängnis.

Darüber hinaus kennt auch Kanada Grenzwerte für die Kombination von Alkohol und Marihuana. Der liegt bei 0,5 Promille und 2.5 ng/ml. Wird man damit erwischt, gilt das ebenfalls als schwerwiegender Verstoß. Normalerweise liegt der Grenzwert für Alkohol bei 0,8 Promille.

Colorado

Der US-Bundesstaat Colorado kennt im Gegensatz zu Kanada nur einen fixen Grenzwert: 5 ng/ml. Dieser gilt auch für Cannabis-Patienten. In Ergänzung dazu haben Polizisten das Recht, Strafen auch unterhalb dieses Messwertes zu verhängen, wenn sie eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit feststellen und dokumentieren.

Außerdem ist es streng verboten, „offene Packungen“ mit Marihuana im Auto bei sich zu führen oder Cannabis zu konsumieren – selbst wenn das Fahrzeug geparkt ist.

Und während Kanada sich mit konkreten Richtlinien und Empfehlungen zurückhält, finden sich diese auf der offiziellen Website:

„Bei Gelegenheitskonsumenten führt der Konsum von 10 mg oder mehr THC wahrscheinlich zu Beeinträchtigungen. Dies beeinträchtigt die Fähigkeit, Auto oder Fahrrad zu fahren oder andere sicherheitsrelevante Aktivitäten durchzuführen.“

Außerdem finden sich dort folgende Richtwerte und Empfehlungen:

  • Rauchen: Nach dem Rauchen von bis zu 35 mg THC solle man mindestens sechs Stunden warten , bevor man Auto oder Rad fährt. 
  • Essen oder Trinken: Mindestens acht Stunden nicht Auto oder Fahrrad fahren, wer bis zu 18 mg THC gegessen oder getrunken hat. 
  • Marihuana wirkt auf jeden Menschen anders. Diese Zeiten seien Schätzungen, die auf Forschungsergebnissen beruhen. Wenn sich nicht sicher ist, wie Marihuana auf den eigenen Körper wirkt, solle andere Transportmöglichkeiten planen oder generell nicht fahren.
  • Mehrere Substanzen: Der gleichzeitige Konsum von Alkohol und Marihuana führe wahrscheinlich zu einer stärkeren Beeinträchtigung als der Konsum einer der beiden Substanzen allein.

Die Strafen für Verstöße:

  • Erster Fall: 5 Tage bis 1 Jahr Gefängnis. 600 bis 1.000 US-Dollar Geldstrafe (565 bis 940 Euro). Maximal 9-monatiger Führerscheinentzug. Bis zu 96 Stunden gemeinnützige Arbeit.
  • Zweiter Fall: 10 Tage bis 1 Jahr Gefängnis. 600 bis 1.500 US-Dollar Geldstrafe (565 bis 1.410 Euro). Maximal 1 Jahr Entzug des Führerscheins. Bis zu 120 Stunden gemeinnützige Arbeit.
  • Dritter Fall: 60 Tage bis 1 Jahr Gefängnis. 600 bis 1.500 US-Dollar Geldstrafe (565 bis 1.410 Euro). Maximal 2 Jahre Führerscheinsperre.

Was Studien sagen

Science professor giving lecture to class at the university

University of California in San Diego

Eine Studie der University of California in San Diego hat die Auswirkungen von Cannabis-Konsum auf die Fahrtauglichkeit untersucht. 191 erfahrene Cannabis-Konsumenten nahmen an simulierten Fahrtests teil, nachdem sie Cannabis mit unterschiedlich hohen THC-Gehalten konsumiert hatten.

Die Studie ergab, dass Cannabis das Fahrvermögen beeinträchtigt, allerdings zeigten nicht alle Testteilnehmer gleichermaßen Leistungseinbußen. Etwa 50% konnten als fahruntüchtig eingestuft werden.

Die stärksten Beeinträchtigungen traten in den ersten 1 bis 2 Stunden nach Konsum auf. Allerdings konnte kein klarer Zusammenhang zwischen der THC-Konzentration im Blut und der Fahrleistung festgestellt werden.

Die Autoren schlussfolgern, dass Cannabis das Fahrvermögen mindert, aber aufgrund individueller Unterschiede und Gewöhnungseffekte die Fahrtauglichkeit nicht allein aufgrund der konsumierten THC-Menge oder des THC-Spiegels im Blut bestimmt werden kann. Weitere Forschung sei nötig, um Risikofaktoren für die Fahruntüchtigkeit nach Cannabis-Konsum zu identifizieren.

Neuroscience & Biobehavioral Reviews

Die Studie veröffentlicht in Neuroscience & Biobehavioral Reviews untersuchte mit Hilfe von Meta-Analysen den Zusammenhang zwischen THC-Biomarkern (THC, 11-OH-THC und 11-COOH-THC) sowie subjektiver Beeinträchtigung und der tatsächlichen Beeinträchtigung der Fahrleistung und fahrrelevanten kognitiven Fähigkeiten.

Wesentliche Ergebnisse:

  • Bei Gelegenheitskonsumenten von Cannabis zeigten höhere Konzentrationen der THC-Biomarker im Blut und in der Mundflüssigkeit einen schwachen bis moderaten Zusammenhang mit einer stärkeren Beeinträchtigung der Fahrleistung.
  • Subjektive Beeinträchtigungsgefühle korrelierten ebenfalls schwach mit der tatsächlichen Beeinträchtigung der Fahrleistung bei Gelegenheitskonsumenten.
  • Bei regelmäßigen Cannabis-Konsumenten konnte kein Zusammenhang zwischen THC-Biomarkern bzw. subjektiver Beeinträchtigung und Fahrleistung festgestellt werden.

Die Ergebnisse legen nahe, dass Grenzwerte für THC-Konzentrationen im Blut oder in der Mundflüssigkeit keine zuverlässigen Indikatoren für eine cannabisbedingte Fahruntüchtigkeit sind. Sowohl fahruntüchtige als auch fahrtüchtige Personen könnten bei diesem Ansatz falsch klassifiziert werden.

Accident Analysis & Prevention

Eine Studie veröffentlicht in Accident Analysis & Prevention hat untersucht, wie gut THC-Werte im Speichel mit THC-Werten im Blut zusammenhängen. Die Forscher haben dafür Daten von über 18.000 Proben von Speichel und Blut analysiert.

Sie fanden heraus, dass das Vorhandensein von THC im Speichel gut mit dem Vorhandensein von THC im Blut zusammenhängt. Die Trefferquote lag bei 71,2% und die Genauigkeit bei 97,7%.

Allerdings ist der Speicheltest bei üblichen Grenzwerten weniger treffsicher und genau, wenn er benutzt wird, um Personen mit höheren THC-Werten im Blut zu erkennen. 

Die Forscher argumentieren, dass in Ländern und Regionen mit Grenzwerten für THC im Blut die Nachteile falsch positiver Speicheltests die möglichen Verkehrssicherheitsvorteile überwiegen.

Sie raten von zufälligen THC-Tests bei Autofahrern ab. Im Gegensatz dazu erscheinen Speicheltests bei Fahrern mit Anzeichen von Fahruntüchtigkeit gerechtfertigt, um Fahrer mit zu hohen THC-Werten zu erkennen.

Insgesamt zeigt diese Studie, dass Speicheltests zwar gut mit THC im Blut zusammenhängen, aber nur eingeschränkt als Marker für illegale THC-Werte geeignet sind.

National Institute of Justice

Eine Studie der RTI International im Auftrag des National Institute of Justice in den USA hat untersucht, inwiefern THC-Level im Blut, Urin oder Speichel mit Fahruntüchtigkeit nach Cannabiskonsum zusammenhängen. Die Forscher fanden heraus, dass die THC-Konzentrationen nicht zuverlässig Aufschluss über die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit gaben.

In einer klinischen Studie mit 20 Teilnehmern testeten die Wissenschaftler die kognitiven und psychomotorischen Fähigkeiten sowie verschiedene Fahrtauglichkeitstests, nachdem die Teilnehmer Cannabis oral oder durch Vaporisieren konsumiert hatten.

Die THC-Dosen variierten dabei zwischen 0 und 25 mg. Obwohl die Tests kognitive und psychomotorische Beeinträchtigungen zeigten, korrelierten die parallel gemessenen THC-Level im Blut, Urin und Speichel nicht mit dem Grad der Fahruntüchtigkeit.

Die Autoren schlussfolgern, dass THC-Grenzwerte kein verlässlicher Indikator für Fahruntüchtigkeit bei Cannabiskonsum sind.

The New England Journal of Medicine

Eine Studie veröffentlicht im New England Journal of Medicine untersuchte die Auswirkungen der Cannabis-Legalisierung in Kanada im Oktober 2018 auf die Häufigkeit von Tetrahydrocannabinol (THC)-Nachweisen bei Autofahrern, die bei Unfällen verletzt wurden.

Die Studie analysierte Blutproben von Autofahrern, die nach einem Unfall in vier Traumazentren in British Columbia behandelt wurden, von 2013 bis 2020.

Vor der Legalisierung wurde bei 9,2% der Fahrer THC nachgewiesen, bei 3,8% lag der THC-Wert über 2 ng/ml und bei 1,1% über 5 ng/ml.

Nach der Legalisierung stiegen diese Werte: Bei 17,9% wurde THC nachgewiesen, bei 8,6% mehr als 2 ng/ml und bei 3,5% über 5 ng/ml.

Der größte Anstieg fand sich bei Fahrern über 50 Jahren und bei männlichen Fahrern. Es gab keinen signifikanten Anstieg alkoholisierter Fahrer.

Zusammenfassend zeigt die Studie, dass nach der Cannabis-Legalisierung in Kanada der Anteil verletzter Fahrer mit nachweisbarem THC deutlich zugenommen hat. Die Ergebnisse deuten insofern darauf hin, dass die Gesetze zur Verhinderung von Drogen im Straßenverkehr nur begrenzt wirksam sind.

Frontiers in Psychiatry

Eine Studie veröffentlicht in Frontiers in Psychiatry untersuchte die Auswirkungen von Cannabis auf das Fahrverhalten und die Fahrtüchtigkeit.

Wesentliche Erkenntnisse:

  • Cannabis beeinträchtigt viele kognitive Fähigkeiten, die für das Autofahren wichtig sind, wie z.B. Aufmerksamkeit, Konzentration und Koordination. Cannabis erhöht das Risiko für Verkehrsunfälle.
  • Im Vergleich zu Alkohol wirkt Cannabis anders auf das Fahrverhalten. Cannabis verlangsamt eher die Fahrweise und führt zu auffälligem Schlangenlinienfahren. Alkohol erhöht die Risikobereitschaft.
  • Die Kombination von Cannabis und Alkohol ist besonders gefährlich, da sich die Effekte verstärken. Selbst geringe Mengen der Substanzen können zusammen das Fahrverhalten deutlich verschlechtern.
  • Nach dem Konsum von Cannabis hält die Fahruntüchtigkeit ca. 3 bis 4 Stunden an.
  • Cannabis wird anders im Körper verteilt und abgebaut als Alkohol. Daher lässt sich die Fahruntüchtigkeit nicht anhand einer THC-Konzentration im Blut bestimmen, wie dies bei Alkohol mit der Promillegrenze der Fall ist.
  • Es gibt derzeit keine zuverlässigen Tests, um Cannabis-beeinflusste Fahrer bei einer Verkehrskontrolle zu identifizieren. Weder körperliche Tests noch THC-Grenzwerte im Blut korrelieren gut mit der tatsächlichen Fahruntüchtigkeit.

Anesthesia & Analgesia

Eine Studie veröffentlicht in Anesthesia & Analgesia untersuchte die kognitiven und psychomotorischen Auswirkungen von Cannabis sowie die aktuelle Gesetzgebung bezüglich Fahren unter Cannabiseinfluss (Driving Under the Influence of Cannabis, DUIC).

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Cannabiseinnahme führt bei Gelegenheitskonsumenten zu deutlichen kognitiven und psychomotorischen Beeinträchtigungen, die das Unfallrisiko beim Autofahren erhöhen. Bei chronischen Konsumenten sind die Auswirkungen weniger stark. 
  • Es gibt keinen Konsens über Grenzwerte von THC-Konzentrationen im Blut, die Fahrunfähigkeit belegen. Psychomotorische Tests scheinen aussagekräftiger zu sein.
  • Ärzte, die medizinisches Cannabis verschreiben, sollten ihre Patienten über die Gefahren von DUIC aufklären und sie gegebenenfalls von der Teilnahme am Straßenverkehr ausschließen.

AAA Foundation for Traffic Safety

Eine Studie im Auftrag der AAA Foundation for Traffic Safety untersuchte, ob es eine wissenschaftliche Grundlage für gesetzliche Grenzwerte von THC im Blut von Autofahrern gibt.

Die Daten von zwei Gruppen wurden analysiert:

  • 602 Fahrer, die wegen Drogeneinflusses von der Polizei angehalten wurden und bei denen THC nachgewiesen wurde. Bei ihnen wurden umfangreiche Tests zur Fahrtauglichkeit durchgeführt. Sie wurden mit 349 Test verglichen, in denen keine Droge gefunden wurden.
  • 4799 festgenommene Fahrer, bei denen THC und/oder seine Abbauprodukte im Blut nachgewiesen wurden.

Die Ergebnisse zeigen:

  • Die THC-positiven Fahrer schnitten in den Fahrtauglichkeitstests deutlich schlechter ab als die Kontrollgruppe ohne Drogenkonsum.
  • Allerdings korrelierten die Testergebnisse nicht mit der Höhe der THC-Konzentration im Blut. Es konnte kein klarer Grenzwert festgestellt werden, ab dem die Fahruntüchtigkeit einsetzt.
  • Bei vielen der angehaltenen Fahrer lag die THC-Konzentration unter 5 ng/ml, dem in einigen US-Staaten geltenden Grenzwert. Selbst bei 1 ng/ml wären gemäß der Studie nur etwa 80% der Fahrer mit nachgewiesener Fahruntüchtigkeit erfasst worden.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es keine wissenschaftliche Grundlage für einen generellen Grenzwert gibt, ab dem Fahruntüchtigkeit vorliegt. Die Wirkung von THC ist von vielen Faktoren abhängig und variiert von Person zu Person.

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